
Wenn Madame klingelt
Ich denke im Moment viel darüber nach, was es heißt, "Touri" zu sein. Meistens versuche ich, als solche nicht aufzufallen. Also nicht verwirrt glotzend in der Gegend zu stehen, gekleidet, als sei man auf einer Tropenwanderung. Früher waren Touris ja an den Karten und Fotoapparaten sofort zu erkennen, heute haben wir alles im Handy. Das hat eh jeder und jede dauernd in der Hand, also kommt man damit relativ unauffällig durch. Anderseits frage ich mich, warum will ich eigentlich nicht als Touristin erkennbar sein, was ist daran so uncool?
Ich hab euch ja schon erzählt, wenn es um die Essens- und Ausgehzeit geht, schaff ich es meistens nicht, mich den südlichen Gepflogenheiten anzupassen. Und wenn mir alle sagen, geh nach Carcasonne, das ist wunderschön, dann geh ich natürlich dort hin. (Und ja, es ist wunderschön, dazu später mehr!) Und dann sind da natürlich viele andere Touris, ist doch auch klar und logisch.
Aber heute bin ich mal wieder sehr optimistisch "ans Meer" gefahren. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber hinter diesen Worten wartet für mich da ein schöner Ort. Der muss nicht menschenleer sein, ein bisschen gucken möchte ich ja. Ich brauch auch keinen Paradiesstrand. Aber das, was mich auf meiner Reise, so auch hier in der Nähe von Narbonne und am Strand von Guissan, abschreckt, ist das, was vor dem eigentlichen Strand kommt. Betonwüsten, ewig lange Straßen, ohne Bäume, gesäumt von Geschäften, Restaurants, die noch nie schön waren und nun so richtig abgerockt sind. Dahinter riesige Blöcke mit Apartmenthäusern, oder haufenweise kleine, häßliche Ferienhäuser, oder riesige Campingplätze mit Mobilehomes und Stellpätzen ohne Ende. Alles für die Touris. Für den Massentourismus.
Während ich das denke, verziehe ich angewidert das Gesicht. Aber dann frage ich mich, ob ich nicht überheblich bin. Ich bin zwar nicht vermögend, aber schon "reich" genug, dass ich so meinen Urlaub nicht machen will. Aber andere müssen das vielleicht.
Ach, nun ja das sind gerade so meine Gedanken..Ich finde es hier in der Ecke schwierg, was Nettes zu finden. Mein Hotel ist jetzt etwas im Hinterland, mit Pool und nettem Innenhof, von hier aus schau ich mir morgen Narbonne an.

Jetzt, wie versprochen, zu Carcasonne. Es war einfach unglaublich beeindruckend. Eine Kulisse wie im Film. Über 2500 Jahre alt, 52 Türme, 3 km lange und dicke Stadtmauern!
Ich war am späten Nachmittag das erste Mal da, die Luft und das Licht waren so toll!
Leer war es da natürlich auch nicht, aber keine Vergleich zu den Massen die anrollten, als ich heute morgen noch einmal da war und um 11 Uhr die Biege gemacht hab. Aber egal, muss man gesehen haben. Wenn du da ein bisschen Phantasie hast, siehst die Menschen aus dem Mittelalter, siehst Ritter, Mägde, Priester, Stalljungen, Königinnen, stellst dir vor, wie voll es hier war. Du kannst dir denken, wie schlimm es war, wenn die Burg belagert wurde. Und dann liest du, woher der Name der Burg angeblich kommt: Die Burg wurde belagert, alle hatten Hunger, drinnen und draußen. Die Königin hatte ein Schwein verstecken und mästen können. Sie lies es über die Mauer werfen. (Deswegen heißt die Geschichte auch: das fliegende Schwein.) Draußen dachten die Belagerer, "was, die haben noch so viel zu essen, dass sie dieses Schwein einfach weg werfen?" Und sie gaben die Belagerung auf. Jemand sagte: "Madame carcas sonne" was wohl heißt, "Madame hat geläutet". Ihr könnt euch denken, wie sehr mir diese Geschichte gefällt.
So kleine Zeitreisen erwischen mich gerade öfter. Denn ich war davor in Hondaribbia, eine Stadt nahe San Sebastián. Mitten im Baskenland. Und dort bin ich in ein Fest reingeraten, dass ein bisschen wirkte, wie ein mittelalterlicher Karneval. Die Kinder wurden durch die uralten Gassen der Stadt, die es schon seit 550 n.Chr. geben soll, getrieben, von total unheimlichen Figuren. Es waren bestimmt hunderte von Kindern, die kreischend und lachend, den ganzen Nachmittag Katz und Maus spielten mit diesen Figuren.
Dahinter zog ein kleiner Umzug, mit Kapelle und Walfisch. Ich hab nicht ganz genau raus gefunden, was es war, es ist wohl ein Fest zu Ehren Virgin de Guadalupe. Und inzwischen einiges über die Basken nach gelesen. Unter anderem, dass es eine der schwierigsten Sprachen der Welt ist.

Einen Mini-Zwischenstopp will ich nicht unterschlagen. Max und ich haben einen Kaffee in Toulouse getrunken. Es war zu heiß, um viel rum zu laufen. Aber die Stadt wirkte sehr cool, viele junge Menschen, viel Rad Verkehr.
Morgen schauen wir uns Narbonne an. Und dann ist Montpellier geplant.
Und dann würde ich gern mal wieder campen... hoffe, das klappt dann nächste Woche, von den Temperaturen her.
Ach, ja, eines noch. Warum sind hier die Laken immer so fest unter die Matratze gestopft ? Macht mich wahnsinnig 😅
Hallo Sandra, was du hier über die Orte am französischen Mittelmeer, v.a. in der Region, in der du gerade bist, schreibst kann ich so gut nachvollziehen. Bevor wir unser Herz an die Bretagne verloren haben, waren wir öfter in den Osterferien dort unten, und haben es meistens wie du erlebt: Seelen- u Gesichtslose Orte, meist auch noch ohne gewachsenen alten Ortskern und jegliche eigene "Historie", Bunker ähnliche Apartmenthäuser und Ferienhäuschen/Pavillons, die alle gleich aussahen. Hab mich immer gefragt ob sich die Leute da abends (nach ein paar Gläsern Wein) nicht mal vertun und beim Nachbarn landen. Vermutlich auch kein Problem, Toilette und Schlafzimmer werden wohl auch alle "normiert" und an derselben Stelle sein 😏Dass du dort nicht geblieben sondern ins…